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Ausgabe 009


Fela mus Mann machen düfn!

Von Petra Wangelin, Bücken



Geraten die meisten Eltern beim Anblick eines solchen Satzes einigermaßen außer Fassung, so steht diese Reaktion in krassem Widerspruch zum Stolz des kleinen Kindes, das gerade eine großartige Leistung vollbracht hat: die lautgetreue Schreibung. Das jedoch sehen Erwachsene oft anders. Wenn der siebenjährige Tim seiner Mama den selbständig geschriebenen Satz „der Dreka tzit den Fakn“ präsentiert, dann kann sie folgendermaßen reagieren:“Oh nein, so viele Fehler! Schreib doch lieber etwas aus deiner Fibel ab!“ Oder sie sagt:“Der Trecker zieht den Wagen. Ja, das kann ich lesen, toll,Tim!“ Diese Mutter deutet die „Fehler“ in Tims Satz als originären Lösungsversuch beim Schreiben seines Satzes, nämlich das aufzuschreiben, was der Junge gehört hat..

Dass diese Fähigkeit nicht „natürlich“, sondern eher als „kultürlich“ zu beschreiben ist, zeigt ein Blick in die Statistik: ca.15 % aller eingeschulten Kinder haben Probleme sowohl beim Lesen als auch im Aneignen der Schriftsprache. Das kann unterschiedliche Ursachen haben, z. B. die fehlerhafte Wahrnehmung eines Lautes (Phonem) bzw. die fehlende oder falsche Verknüpfung mit dem dazugehörigen Buchstaben (Graphem). Aber auch andere Wahrnehmungsvoraussetzungen, die zum Erlernen des Lesens und Schreibens benötigt werden, können gestört sein, beispielsweise die Fähigkeit, melodisch, kinästhetisch oder rhythmisch zu differenzieren.

In einigen Fällen mag es dem Lehrer/der Lehrerin in Zusammenarbeit mit den Eltern gelingen, das Kind im Anfangsunterricht so zu fördern, dass sich die anfänglichen Schwierigkeiten beheben lassen.

Was aber, wenn die Fehler zu- statt abnehmen, wenn es selbst bei fleißig geübten Diktaten vor Fehlern nur so wimmelt, wenn gestern richtig erarbeitete Wörter schon heute nicht mehr wiederzuerkennen sind? Oft stehen Schüler und Eltern gleichermaßen ratlos vor diesem Problem. „Du mußt mehr üben“ oder „Das verwächst sich schon mit der Zeit“ sind zwei häufig zu hörende Ratschläge. Aber noch mehr üben? Und als „Belohnung“ für den überdurchschnittlichen Arbeitseinsatz eine „Fünf“ im Diktat einkassieren? Was es für ein Kind bedeutet, Tag für Tag, Woche für Woche in die Schule zu gehen in der Gewissheit, mit den Lese- und Rechtschreibleistungen der anderen Kinder aus der Klasse nicht mithalten zu können, kann sich ein Erwachsener kaum vorstellen. Der würde bei entsprechenden Frustrationen in seinem Arbeitsalltag wahrscheinlich den Arbeitsplatz wechseln. Bedrückend sind diese Lernschwierigkeiten im Anfangsunterricht vor allem deshalb, weil sie sich vorher in keiner Weise angekündigt haben. Viele Kinder verstehen die Welt nicht mehr, (ver)zweifeln an ihren Fähigkeiten, verlieren ihr Selbstbewusstsein. Sie verwandeln sich je nach Temperament in Klassenclowns, in unleidliche, aggressive Schüler oder aber sie ziehen sich mutlos und resigniert in sich selbst zurück.

Hilfe in einer solchen Situation kann der Besuch bei einem Schulpsychologen oder einem Legastheniezentrum1 bringen, denn nicht selten liegt in diesen Fällen eine Lese-/Rechtschreibschwäche (LRS) vor. Für das Kind bedeutet eine derartige fachliche Diagnose möglicherweise den ersten Schritt, um aus diesem Teufelskreis ausbrechen zu können. Durch professionelle Problemdiagnose kann nach eingehender Überprüfung der jeweilige Wissensstand und die spezifische Teilleistungsschwäche des Kindes festgestellt werden. Darauf aufbauend sollte ein individueller Förderunterricht durch eine speziell geschulte Lehrkraft einsetzen.

Die Übernahme der Kosten für einen LRS- Förderunterricht kann nach § 35a SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) erfolgen, allerdings nur dann, wenn das Kind unter einer „seelischen Behinderung“ leidet oder von einer solchen bedroht ist. Genauere Auskünfte über den Antrag bzw. die dafür nötigen Unterlagen erhält man beim Gesundheitsamt Nienburg (Frau Jünemann2). Allgemeine Auskünfte über das Problemfeld Legasthenie erteilt der Bundesverband Legasthenie3 oder die jeweiligen Landes- und Kreisverbände4 .

Wichtig ist in jedem Fall, das Kind davon zu überzeugen, dass seine Teilleistungsschwäche nichts mit „Dummheit“ zu tun hat, sondern ähnlich wie beispielsweise Kurzsichtigkeit von entsprechend geschulten Fachkräften „behandelt“ werden kann ( selbst Albert Einstein war Legastheniker!).

Die Chancen für eine derartige Unterstützung sind natürlich umso besser, je früher der individuelle Förderunterricht auf die jeweiligen Schwächen des Kindes eingehen kann, denn: „Wer das erste Knopfloch verfehlt, kommt mit dem Zuknöpfen nicht zurecht“(Goethe).



Petra Wangelin, (Grund- und Hauptschullehrerin, LRS-Förderlehrerin)

Hoyaer Str. 14a,

27333 Bücken,

Tel.: 04251/6484


Legastheniezentrum Hannover

Tel.: 0511/ 315112, Legastheniezentrum Bremen, Tel.: 0421/13357

Gesundheitsamt Nienburg

Frau Jünemann, Tel.: 05021/967926

Bundesverband Legasthenie

Königsstr. 32, 30175 Hannover,

Tel.: 0511/ 318738

Kreisverband Verden

Frau Rüb, Alte Dorfstr. 39,

27337 Blender, Tel.: 04233/930124

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