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Ausgabe 008

Überschuldet - ein Leben ohne Perspektive?

Von Gundolf Meyer, Marklohe

In der letzten Ausgabe habe ich das neue Verbraucherkonkusrverfahren dargestellt (CLARA FALL 007 „Für SchuldnerInnen beginnt eine neue Zeitrechnung“; zu finden auch im Internet unter http://www.megu.de). In dieser Ausgabe beschreibt eine betroffene Frau, wie sie die letzten 20 Jahre mit der Situation der Überschuldung gelebt hat. Der Verbraucherkonkurs ist ihre letzte Hoffnung, die verfahrene Situation in den Griff zu bekommen. Aber auch hier sind Hürden aufgebaut. Das Insolvenzgericht verlangt einen Kostenvorschuß von bis zu 5.000 DM und die Prozesskostenhilfe wird bisher generell von den Gerichten abgelehnt. Den von Überschuldung betroffenen Familien empfehle ich, sich von einer Schuldnerberatungsstelle informieren zu lassen.

Beginn des Berichtes

Hallo Herr Meyer, was Sie mir da aufgetragen haben, ist gar nicht so einfach. Ich habe auch versucht, es aufzuschreiben, aber da geht ja soviel Papier drauf, ich hab' das immer wieder zerrissen. Jetzt hat mir mein Sohn dieses Diktiergerät gegeben. Vielleicht klappt das ja so besser, denn ich denke mal, so aus einem Gespräch heraus läßt sich das besser beschreiben. Wir haben jetzt April 1999. Wenn ich mir überlege, daß wir schon zehn Jahre kämpfen und was es uns vor dem Hauskauf doch gut ging, relativ gut. Mein Mann hatte seine Arbeit, am Wochenende konnten wir was mit den Kindern erleben, wir konnten uns sogar einen Urlaub erlauben, das ist überhaupt nicht mehr möglich.

Angefangen hat alles 1979. Mein Mann war bei der Fa. H. in Bad Essen beschäftigt und verdiente gutes Geld. Er bekam so ungefähr 4500 DM netto ausbezahlt, also konnten wir davon gut leben, bis uns sein Chef das Angebot machte, sein Haus zu kaufen. Na ja, so ein Eigenheim, es war schön. Wir hatten ihm auch gesagt, daß wir gar kein Eigenkapital haben. Aber er meinte, er würde das schon regeln mit der Bank, mit der Sparkasse. Also haben wir uns das Haus mal angesehen, und ich kann sagen: Es war ein Traum, für uns jedenfalls ein Traum. Und so sind wir dann ins Geschäft gekommen. Ich kann mich auch noch genau an den Namen des Chefs erinnern, Herr S., vergesse ich mein Lebtag nicht. Also fuhr Herr S. mit uns zur Sparkasse hin und regelte das mit den Herren. Es klappte alles wie verrückt. Es gab auch überhaupt keine Probleme, die Gelder bekamen wir sofort, dank Herrn S.. Na ja, gut, der war sein Ding jetzt los. Und wir hatten einen Kredit von 180.000 DM, waren das, glaube ich, am Hintern hängen. Ja das war so gesehen ja auch gar kein Problem. Mein Mann verdiente gut, ich brauchte nicht mitarbeiten, konnte mich ganz unseren Kindern widmen. Wir hatten eine Abtragung von monatlich 1800 DM. Bei 4500 DM Verdienst war das nicht zuviel.

Das Problem fing ja auch einfach erst 1980 an, als mein Mann bei H. entlassen wurde, als die Bauphase so schlecht war. Also wurden bei H. die Kolonnen, die zuletzt angefangen waren, auch zuerst entlassen, was ja auch eigentlich verständlich war. Und damit war unser relativ gutes Leben vorbei und das Rechnen fing an. Mein Mann ging zum Arbeitsamt, ich suchte mir eine Putzstelle für halbe Tage, die Kinder gingen vormittags zur Schule, so konnte ich bis Mittags arbeiten. An Geld standen uns dann 2600 DM zur Verfügung. 1800 DM mußten wir an die Kasse zahlen, heizen mußten wir, kochen mußten wir, die Kinder brauchten Schulbücher - Versicherungen, Grundsteuer.

Wir haben gerechnet und gerechnet und kamen einfach nicht klar, bis mir der Gedanke kam, doch mal zur Kasse zu gehen, ob es nicht möglich wäre, die Rate etwas niedriger zu machen. Wir hatten uns auch ausgerechnet, daß wir monatlich so 1500 DM abtragen könnten. Also bin ich zur Sparkasse gefahren und habe tatsächlich gehofft, daß die sich darauf einlassen, daß wir monatlich 1500 DM bezahlen und dann eben das andere Geld hinten anhängen, d.h., daß wir dann eben ein paar Jahre länger gezahlt hätten. Habe dann auf der Sparkasse mit einem Herrn gesprochen, dessen Namen ich leider nicht mehr weiß, der mir gleich sagte: Also das wäre ja unmöglich, also die Raten müßten schon eingehalten werden.

Weihnachten stand vor der Tür. Von meinem Mann das Stempelgeld ging ja zur Kasse auf unser Konto. Daher habe ich gedacht, so ein bißchen wenigstens für die Kinder, wir brauchen ja nicht viel, und die Kinder müssen dann auch mal ein bißchen zurückstecken. Bin ich zur Kasse hin, wollte von unserem Konto 200 DM holen, damit wir wenigstens einen Weihnachtsbaum und ein paar Geschenke für die Kinder kaufen konnten. Ich dachte, mich trifft der Schlag. Das Konto gesperrt. Nicht einen Pfennig, nicht eine müde Mark hat man mir gegeben, nicht mal, um was zu essen zu kaufen. Ich wußte nicht, was ich tun sollte, ob ich jetzt schreien sollte oder weinen, aber ich habe mir gedacht, die Blöße gibst du dir da nicht, du gehst jetzt aufgerichteter Dinge wieder nach Hause. Ich bin eigentlich ein Mensch, der sich immer zu helfen weiß, aber da war ich mit meinem Latein am Ende. Zuhause habe ich dann die ganze Sache meinem Mann erzählt. Er hat gesagt:
Irgendwie werden wir diese Weihnachten schon überstehen und ist dann zu seinem Vater gefahren und hat sich Geld geliehen, damit wir wenigstens was zu essen hatten. Weihnachten, ich könnte heute noch heulen, wenn ich daran denke, wenn ich an meine Kinder denke, solche Weihnachten, kein Weihnachtsbaum, keine Geschenke für die Kinder. Die Augen, die Gesichter meiner Kinder, haben mich für das restliche Leben geprägt.

Und im neuen Jahr fing es dann an, Mahnungen, Mahnungen, Gerichtsvollzieher, und dann kam die Zwangsversteigerung unseres Hauses und wir mußten raus. Ich weiß auch heute nicht mehr, wie es angefangen hat oder wann es angefangen hat, irgendwann ging es dann los mit dem Alkohol, nicht nur mein Mann, ich auch. Denn der Alkohol, so habe ich heute das Gefühl, schiebt alles weg. Man muß nicht darüber nachdenken, wie es einem geht. Es ist einfach alles in Ordnung, es ist gut, es ist super. Man macht sich auch überhaupt keine Gedanken, wie es den Kindern geht, was die denken, was die fühlen, es ist einem alles egal. Mit meinem Mann gab es nur noch Zank und Streit, bis er sich dann irgendwann woanders vergnügte, hat mich auch betrogen. Und das habe ich einfach nicht verkraftet.

Also habe ich morgens schon angefangen zu trinken. Das erste morgens, sowie die Kinder aus dem Hause waren, waren eine Tasse Kaffee, Cognac und Zigaretten. Ich habe in einer Gaststätte gearbeitet, habe da geputzt und in der Küche geholfen. Da gab es dann ja auch Alkohol. Irgendwann habe ich mich in meinem Chef verguckt, habe geglaubt, es ist Liebe, bin eine Beziehung mit ihm eingegangen. Mein Mann ist natürlich dahintergekommen, und so lief es dann auch in unserer Ehe, es wurde immer schlimmer. Irgendwie, ich weiß nicht, ob mein Körper sich da gewehrt hat, gegen diese ganzen Belastungen, ich konnte die Uhr danach stellen, ich kriegte jede Nacht um ein zwei Uhr einen Blutsturz, also ich habe aus der Nase geblutet, das kann sich keiner vorstellen. Eine Rolle Zewa ist da bestimmt jede Nacht bei drauf gegangen. Das hatte ich nicht nur zwei oder drei Tage, das ging Wochen so, wochenlang. Bis ich dann auch nicht mehr meinen linken Arm hochheben konnte. Da bin ich dann zum Arzt gegangen, ich dachte, ich muß ja irgendwie krank sein. Die haben mich auch auf den Kopf gestellt, bis sich dann herausstellte, daß das alles seelisch bedingt ist.

Irgendwann ist es mir dann in den Kopf gekommen, natürlich unter Alkohol. Ich hatte keine Lust mehr, habe Tabletten geschluckt und überhaupt nicht mehr, an gar nichts gedacht, weder was mit den Kindern passiert noch was mein Mann macht, überhaupt nichts mehr. Wie ich dann die Tabletten geschluckt habe, mit viel Alkohol, da habe ich irgendwann doch Bedenken gekriegt und meine Mutter angerufen, die natürlich sofort kam. Mein Mann war nicht da, ich weiß nicht, wo er da zur Zeit war. Meine Mutter hat gleich einen Arzt angerufen und dann bin ich ins Krankenhaus gekommen. Magen ausgepumpt, dann hatte ich ein Gespräch mit einem Psychologen. Er hatte es mir dann irgendwie nahegelegt, mich noch mal um eine Kur zu kümmern, was ich dann auch tat.

Ich kam dann zur Kur nach Damm 2000 und wollte mich auch von meinem Mann trennen, aber da habe ich die Rechnung ohne meinen Mann gemacht. Das muß ich dann doch so sagen, mein Mann hatte schon vorher aufgehört zu trinken, irgendwann hat das bei ihm wohl "Klick" gemacht, daß er aufgehört hat, daß er gedacht hat, so geht das nicht weiter. Jedes Wochenende kam er nach Damm 2000 gefahren mit den Kindern, hat alles Mögliche versucht. Er hat mich betüddelt, er hat mir erzählt, wir hätten uns doch mal geliebt, im Prinzip würden wir uns ja auch immer noch lieben. Das war schon wahr, das war dann auch in Damm 2000 die Wende. Da ging es mit uns wieder aufwärts. Der Alkohol war ganz weg. Die Kinder waren wieder ganz zufrieden. Wir haben zum ersten Mal wieder vernünftig miteinander geredet. Wir konnten wieder miteinander reden und haben überlegt, wie wir das alles wieder in den Griff kriegen. Wir sind raus aus dem Haus und nach Lemförde gezogen. Mein Mann bekam 2200 DM Stempelgeld, hat sich aber in Lemförde bei der Gemeinde beworben und ist da angefangen zu arbeiten für 1600 DM. Hauptsache, er hatte wieder Arbeit. Ich habe mir Arbeit gesucht und dann ging es so einigermaßen wieder aufwärts bis auf die Lohnpfändungen, Gerichtsvollzieher, das blieb alles beim Alten. Irgendwann habe ich von Ihnen gehört, von Sulingen, daß es da einen Verein gibt, für Kreditgeschädigte. Das hat natürlich auch erst mal ein paar Wochen gedauert, bis ich mich dazu durchgerungen habe, überhaupt mal nachzufragen, was das ist, was gemacht werden kann, ob uns überhaupt geholfen werden kann. Ich habe dann bei Ihnen angerufen und bekam auch gleich einen Termin. Ich habe mir bei Ihnen erst mal alles von der Seele gesprochen, und ich muß sagen, Sie haben mir auch geholfen, erzählt, wie ich es machen kann, was ich machen kann, und wie ich mich verhalten soll.

Dann konnte mein Mann auch bei mir im Betrieb anfangen, also verdiente er auch ein paar Pfennige mehr. Unsere Lohnpfändungen liefen weiter, wurden auch bezahlt. Wir hatten auch Ruhe, bis unsere Firma dann irgendwann Pleite machte, in Konkurs ging. Also standen wir wieder ohne Arbeit da. Und die ganze Sache ging von vorne los, außer natürlich der Alkohol, der blieb außen vor. Mein Mann bekam eine neue Arbeitsstelle, es lief auch alles gut, bis die Lohnpfändung kam, da kam die erste Kündigung. Nächste Stelle: Lohnpfändung, Kündigung. Nächste Stelle: Lohnpfändung, Kündigung. Also das geht immer so weiter. Ich habe mich natürlich auch über Jahre um Arbeit bemüht, aber ich habe ein tolles Alter von 50 Jahren gehabt. Wer stellt mich noch ein? Keiner. Also, es ist unmöglich, ich habe alles versucht, das Arbeitsamt hat alles versucht, es ist einfach unmöglich. Dann ist mir der Gedanke gekommen, mich selbständig zu machen, das wenigstens ein bißchen Geld kommt. Da habe ich eine Gaststätte gepachtet, natürlich ein Reinfall. Es gibt Menschen, die ziehen das Unglück einfach an, und wir, die letzten Jahre, wenn etwas schiefgehen kann, passiert es uns. Mein Mann hatte wieder eine neue Arbeitsstelle in Wagenfeld und wieder kam irgendwann das große Aus, die Firma machte Konkurs. Wir kriegten kein Geld, Strom wollten sie uns abstellen, unser Hauswirt, Gott sei Dank konnten wir mit dem gut reden, er hatte Verständnis für unsere Lage. Das war's dann erstmal wieder.

Wir hörten dann irgendwann mal was über ein Insolvenzverfahren, ich wußte erst gar nichts damit anzufangen. Es ging um Schulden von Privatleuten, die irgendwann erlassen werden könnten. Also habe ich mich auch gleich wieder mit Ihnen in Verbindung gesetzt und hoffe, hoffe, daß sich da was tut. Mein Mann hat wieder eine neue Stelle, aber seitdem wir mit Ihnen in Verhandlung stehen und Sie da so einiges für uns regeln, ist noch keine Lohnpfändung gekommen. Er ist natürlich außerhalb am arbeiten, er ist die ganze Woche nicht da, aber da müssen wir mit leben. Wir sind ja froh, daß er mit über 50 Jahren überhaupt noch Arbeit bekommen hat und das er die behalten kann. Unsere Kinder sind aus dem Haus, sind beide gut verheiratet und ich hoffe, daß ich seit 1986 ihnen noch eine schöne Jugend bereitet habe, daß sie noch ein bißchen was gehabt haben von ihren Eltern, ohne Alkohol, ein bißchen zufriedener. Ich versuche, so gut es eben geht, alles zu bezahlen, was ich bezahlen kann. Mein Mann fühlt sich wohl auf der Arbeit. Ich bin auch über 50, meine Arbeitslosenhilfe ist gestrichen worden, bin 50% behindert, das sieht ganz schlecht auf dem Arbeitsmarkt aus. Ich bemühe mich immer, was zu kriegen, aber da sehe ich keine Chance.

So, Herr Meyer, das waren unsere letzten 20 Jahre, von 1979 bis 1999. Ich hoffe, ich hoffe inständig, daß Sie uns helfen können, und ich hoffe, daß Sie mit diesem Text auch was anfangen können. Es ging mit dem Diktiergerät doch besser als zu schreiben. Das hätte ich ja nie so geschafft. Nächstes Jahr sind wir 30 Jahre verheiratet, wenn ich so überlege, wieviele Jahre wir davon vertan haben, nur wegen so einem blöden Haus. Aber irgendwie hat es uns auch zusammengeschweißt, und ich kann auch sagen, daß wir für unser Alter, für unseren Jahrgang auch wieder glücklich miteinander sind.

Tschüss


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