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Ausgabe 007

Licht auf Weimar oder die Maulwurfsarbeit der Zeit

von Sabine Helms

Die Bahn bietet, um in die diesjährige „Europäische Kulturhauptstadt“ zu gelangen, ein Weimar-Ticket an. Man ersteht eine Weimar-Card für 20 DM (72 Stunden gültig), sie berechtigt zum kostenlosen Busfahren auch ins Umland, Museen und andere städtische Einrichtungen geben eine Ermäßigung auf ihre Eintrittspreise. Hat man die Card, so darf man für 50 % des normalen Fahrpreises nach Weimar fahren, besitzt man eine Bahncard, so spart man sogar 75 %. Ab Nienburg macht das 56,20 DM für die Hin- und Rückfahrt aus. Mit Umsteigen in Hannover und Kassel-Wilhelmshöhe ist man nach ca. 5 Stunden da. Am Informationsschalter erhält man die Weimar-Card, einen Stadtplan und kann sich mit diversem Info-Material eindecken. Dank Weimar-Card kann man dann gleich den Bus in die Stadt benutzen.

Dadurch, dass Weimar in diesem Jahr die europäische Kulturhauptstadt ist, fließen viel Geld und künstlerische Ideen von außen in den Klassik-Mief. Damit meine ich, dass früher der Eindruck vorherrschte, dass spätestens nach dem Tode Nietzsches die Wohnhäuser und Gedanken von Schiller, Goethe und Liszt konserviert und zur musealen Kunst gemacht wurden.

„Weimar lebt seine sich immer fortschreibende Vision der klassischen Musenstadt, eine Tendenz ins Zeitlose und in die Verewigung einzelner handelnder Personen. Was wir in dieser Stadt sehen, ist beständig ihr Bild von sich selbst, eines, das mit Liszt und dem Tode Nietzsches, dem Fortgang Harry Graf Kesslers und des Bauhauses vorläufig endet. Da liegt vor uns der einbalsamierte Korpus der Klassik, der Philosophie und der Kunst.“ (aus dem Heft zu den Kunstaktionen „Licht auf Weimar“).

Um diese Eindimensionalität aufzubrechen hat Liz Bachhuber Nester gestaltet, das erste steht schon auf dem Bahnsteig. Stühle, die von Zweigen umwoben sind, finden sich auch noch einmal vor dem Bauhausmuseum. Ihre Materialien stammen aus dem Weimarer Sperrmüll, „ sie verbindet Natur mit den Resten städtischer Kultur.“

Ich habe sie eher als auflockernden Blickfang wahrgenommen, drei Jugendliche mit einem kleinen USA-Fähnchen hatten sich zur Rast in einem der Stuhlnester niedergelassen.

Spannend wird sicher noch die Umsetzung des Projekts von Ute Wrede aus Hannover. Sie versucht, die von Häftlingen Buchenwalds im Jahre 1943 in wenigen Monaten gebaute Bahnlinie zwischen Weimar und dem ehemaligen Vernichtungslager der Nazis wieder sichtbar zu machen, indem sie Klatschmohn auf der gesamten Länge der Strecke ausgesät hat. Wenn der Mohn in den kommenden Monaten blüht, wird der Verlauf der Bahnstrecke, von der nicht bekannt ist, wieviele Opfer ihr Bau gekostet hat und wieviele Menschen auf ihr deportiert wurden und im Lager Buchenwald den Tod fanden, wieder sichtbar werden.

Von Goethe und Co. tue man sich das an, was man mag, auch hier sind Gelder geflossen. Beim Betreten des Goethehauses wähnte ich mich in einem so eben fertig gestellten Museumsshop, durch ein Drehkreuz gelangte ich in eine andere Zeit, das perfekt erhaltene Goethewohnhaus mitsamt den DDR-Aufseherinnen, begeisterten Führerinnen, die die Touristentrauben durch das großzügige Haus mit Innenhof führen. Beeindruckend der Garten, Goethes Arbeitszimmer und seine Bibliothek.

Möchte man sich etwas ausruhen und sucht dazu das neu gestaltete Café Frauentor in der Schillerstrasse auf, so gelingt es kaum, Kaffeehausatmosphäre aufkommen zu lassen, zu viele Touristen strömen permanent aus und ein. Eher eine Chance zur Ruhe zu kommen, bietet sich in der brasilianischen Kneipe C 1 mit ausgezeichneter Küche, sie liegt an der Carl-August-Allee.

Etwas versteckt, aber ganz zentral am Markt 21 befindet sich der C. Keller + Galerie, eine selbstverwaltete, freie Bildungs- Kultur- und Informartionsstätte mit monatlich wechselnden musikalischen und literarischen Informationsveranstaltungen. Die Räume befinden sich im ersten Stock, im Café im gibt es Tee, Kaffee, kleine Gerichte und jeden Sonntag zwischen 12 und 18 Uhr diverse Frühstücksmodelle vom gewöhnlichen Galerie- über das Keller-, Anarcho-, Kapitalisten- und Katerfrühstück bis zum Ostfriesenfrühstück. Als Abschluß wird das Touristenfrühstück angeboten, bestehend aus einer Thüringer Rostbratwurst und einer Cola ... .

Der Verein hat versucht, das Haus nach der Wende von der Stadt zu kaufen, emporschnellende Immobilienpreise und eine kurzsichtige Stadtverwaltung haben den Verein vom einem Fremdinvestor abhängig gemacht. Das Konzept, einen zusätzlichen Raum im Erdgeschoß für Musikverantstaltungen zu schaffen, wurde verwirklicht. So umgebaut, ist seit April frisch eröffnet. Es muß eine hohe Miete für das Gebäude gezahlt werden. Bleibt abzuwarten, wie und ob sich diese Art von Kulturarbeit mitten im touristischen Weimar halten kann. Tagsüber jedenfalls ein ruhiges Plätzchen mit Blick über den Markt, abends trifft sich hier die Weimarer Szene.

Weiter geht es zum ersten Teil der Ausstellung „Aufstieg und Fall der Moderne“, der bis zum 9. November im Schloß untergebracht ist. Die frühen modernen Ausstellungen und Privatsammlungen in Weimar, beispielsweise von Harry Graf Kessler und Henry van de Velde (dem Gründer des Bauhauses) werden rekonstruiert, die Sammlungen gehörten zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den fortschrittlichsten Deutschlands. Mit den Anfeindungen einflußreicher Weimarer Bürger gegen das Bauhaus, dessen Weggang nach Dessau und dem Wegzug Kesslers nahm diese Entwicklung ein vorzeitiges Ende. Die Nazis besiegelten es, indem sie große Teile der Kunstwerke als „entartet“ einstuften. Zu sehen sind Gemälde von bekannten Malern wie Monet, Cézanne, Renoir, Kandinsky, Feininger und Klee. Wobei sein Bild „Polarstadt“ von 1920, das heute in Tokio hängt, für mich eine Entdeckung war. Beeindruckend auch die architektonischen Entwürfe van de Veldes, von denen leider nur sehr wenige umgesetzt wurden. Die nach seinem Entwurf gebauten Lehrgebäude des Bauhauses werden gerade restauriert und sind größtenteils verhängt. Schön sind auch die Collagen von Frau Berg-Michel, als Sammlung sonst in Paderborn zu sehen. Sie, Molzahn, Klee, Feininger und Kandinsky waren alle Schüler und später teilweise Lehrende am Bauhaus.

Das Bauhausmuseum am Theaterplatz bietet, gut nachvollziehbar, einen Überblick auch über die Anfänge und die Entstehung des Bauhauslehrbetriebs, vor allem entworfene und in industrieller Fertigung gebaute Möbel sind dort ausgestellt.

Noch ein Tipp, sich dem regen Treiben in der Innenstadt und dem der Touristenmagneten wie z. B. Goethegartenhaus I und II zu entziehen, bietet eine Fahrt mit Linie 3 nach Tiefurt. Dem kleinen verschlafenen Dorf nur wenige Kilometer außerhalb Weimars, dessen Ortskern gerade unter Denkmalschutz gestellt wurde, schließt sich ein Park mit einem vergleichsweise kleinen Schloss der ehemaligen Herzogin Anna Amalia an. Ein Spaziergang durch den Park, der sich zweimal um den Verlauf der Ilm nach oben schraubt, eine fehlende Brücke, die auf manchen Karten noch eingezeichnet ist, der Blick von oben auf das Teehaus, ein Abstecher in die am Rande des Parks liegende Dorfkirche, deren Kanzel auf vier Füssen über dem Altar angebracht ist, lassen das Ganze zu einem kleinen Vergnügen werden, bei dem einem nur wenige Menschen begegnen. Vor der Rückfahrt des Busses nach ca. zwei Stunden kann man sich noch in der einzigen Kneipe des Dorfes ganz in der Nähe erholen.

Es lohnt sich auf dem Rückweg an der Friedensstrasse auszusteigen und zum alten E-Werks zu laufen, dort hat Rebecca Horn eine Installation aufgebaut, die dort bis in den Oktober zu sehen ist. Betritt man den dunklen Raum der alten Schuppen, so sieht man Saiteninstrumente, die auf ein Gleis gestapelt sind, am Ende einen kleinen Waggon, der sich durch einen Bewegungsmelder in Fahrt begibt und durch den Kontakt mit einer Metallschiene an der Wand Stromblitze in Glasröhren an der Wand auslöst.

Für mich gibt es kaum ein passenderes Bild für die Erinnerung an die Deportation von Sinti und Roma und deren Tötung in Buchenwald. Horn hat den Innenraum optimal für ihre Installation genutzt, die an den Seitenwänden angebrachten, mit Sand gefüllten Glaswände bieten Platz für die Ameisen in der Tiefe der „Maulwurfsarbeit der Zeit“ - ein Segment, nicht aufgearbeitet, wiederholbar?

Wer günstig, einfach aber gut unterkommen will, bucht rechtzeitig eins der wenigen Einzel- oder Doppelzimmer im Hababusch Hostel direkt im Zentrum, in der Geleitstr. 4, Tel. 03643/850737 oder wendet sich an die Tourist-Information unter 24000 am Markt 10 in 99421 Weimar. Dort lassen sich vorab Konzerte buchen und es ist möglich sich vorab schon mal Infomaterial schicken zu lassen - für eine ganz eigene Entdeckungsreise nach Weimar. (les.ah)



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