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Ausgabe 007

Klärschlamm auf Nienburger Spargel?

Von Sabine Helms

Die Mär vom blütenreinen Anbau des berühmten Nienburger Spargel

Nienburger Spargel ... kommt täglich frisch – ohne chemische Bleichmittel oder andere Zusätze auf den Markt! So kann man es dieser Tage in einer Werbeanzeige der Arbeitsgemeinschaft Nienburger Spargel in der hiesigen Lokalzeitung lesen. Was könnte man also dem ach so weißen Nienburger Spargel nachsagen? Nichts auf den ersten Blick. Hat man doch durch den Anzeigentext das Gefühl, der Spargel werde organisch-biologisch oder gar biologisch-dynamisch angebaut. Was aber bei den großen Mengen Spargel, die innerhalb von 7 Wochen auf den Markt kommen, nur unter starkem Düngemittel- und Pestizideinsatz möglich ist.

Wer weiß denn schon, dass es durchaus üblich ist, Klärschlamm zur Düngung von Spargelfeldern zu benutzen?

Nachgefragt bei Herrn Schriever, Sprecher der obigen AG, gibt es keine Anbaukriterien für eine Zugehörigkeit in der „Spargelgemeinschaft“, nur die üblichen Qualitätskriterien, was das Aussehen des Spargels angeht.

Wachgerüttelt durch mehrere Hinweise aus dem Nordkreis - dort werden bei einem Bauern seit Jahren Verstöße beim Anbau von Spargel beobachtet - begannen wir zu recherchieren. Die dreifache Menge Klärschlamm als erlaubt soll er auf seinen Acker gefahren haben. Vor zwei Jahren soll er während der Stechperiode gegen Unkraut gespritzt haben. Außerdem habe er, als von der Kläranlage beauftragter Ausbringer, Klärschlamm auf Kirchenland gefahren, was grundsätzlich verboten sei.

Wir wollten den Gerüchten nachgehen und fragten beim Amt für Abfallwirtschaft des Landkreises Nienburg als Aufsichtsbehörde nach. Großzügig wird uns angeboten, ein persönliches Gespräch zu führen, der Rechtsdezernent wäre auch dabei. Herr Lange bietet an, eine Tischvorlage zu erstellen. (Nein, es geht nicht um ein gemeinsames Spargelessen, sondern um einen ausgewählten Stapel Zettel, in dem alles Wichtige steht, was man darf und nicht darf beim Spargelanbau.) Im Landkreisgebäude sitzen uns dann aber zwei zugeknöpfte Vertreter gegenüber. Schluss mit der Plauderei; in Kleinkriege zwischen einzelne Bauern, die sich gegenseitig ans Leder wollen, stecke man sich nicht, sagt Herr Dieckmann. Es gelte die Klärschlammverordnung und die Düngemittelverordnung. Beide würden pingelig überwacht, jeder Acker werde beprobt, jede Charge Klärschlamm auch, und so bekäme jeder Acker genau die Dosis Nährstoffe, die er braucht. Herr Dieckmann hat eine Empfehlung geschrieben, in der steht, dass zwei Jahre vergehen sollten bis Spargelpflanzen auf einen mit Klärschlamm gedüngten Acker gesetzt werden. Die Verordnung hat aber eine Lücke. Danach ist es möglich, u.a. über eine Umnutzung, z. B. im Oktober 1998 Klärschlamm auf den Acker zu fahren und im Frühjahr 1999 Spargel zu pflanzen. Das ist ganz legal und wird auch so praktiziert. Danach müßte unsere Eingangsfrage also präzise lauten: Nienburger Spargel auf Klärschlamm?

Abgesehen davon sei bei Verstößen der Kläranlagenbetreiber zuständig, in der Regel die Kommune, zuständig. Der Landkreis sei nicht haftbar zu machen.

Sehen wir uns doch einmal an, was Klärschlamm eigentlich ist: „Faulschlamm, der bei der mechanischen oder biologischen Abwasserreinigung als Feststoff anfällt. Er enthält viele Nähr- und Humusstoffe und kann unter bestimmten Voraussetzungen als Düngemittel verwendet werden, ist jedoch oft mit Schwermetallen oder chlorierten Kohlenwasserstoffen belastet.“ (Ökolexikon, Walletschek und Graw, Beck’sche Reihe)

Abgesehen von der Düngung, führt man dem Acker zusätzlich zu dem Eintrag über Luft und Wasser eine Dosis der eben beschriebenen Stoffgruppen zu. Noch nicht erwähnt sind die PCCDs und PCDFs, zu denen auch das Umweltgift Dioxin gerechnet wird. Auf die letzten beiden Stoffgruppen sowie die chlorierten Kohlenwasserstoffe wird der Klärschlamm nur alle 2 Jahre untersucht. Nährstoffgehalt und Schwermetallgehalt werden jedes halbe Jahr gemessen.

Nach der genauen Praxis befragt, geben Herr Kasper und Herr Hoffschlaeger von der Bezirksstelle Nienburg der Landwirtschaftskammer Hannover zu bedenken, dass sie bei der Überwachung der Grenzwerteinhaltungen der 32 Klärwerke ihres Bezirks nur beratend und empfehlend tätig sind. Über jeden Bauer, der Klärschlamm abnimmt wird eine Akte geführt, insgesamt wird ein so genanntes Klärschlammkataster angelegt. Jeweilige Verstöße würden dem Landkreis Nienburg zur Verfolgung gemeldet. Da war doch was?

Herr Hoffschlaeger räumt immerhin noch ein, dass es mangelnde Ausführungsbestimmungen zur 1992 in Kraft getretenen Klärschlammverordnung gibt, und er sich über die Praxis der oben beschriebenen Möglichkeit von Herrn Dieckmann ärgert, die es möglich mache, Spargel nach so kurzer Zeit auf einen mit Klärschlamm gedüngten Acker zu pflanzen. Seine Empfehlung sei nach der Beschlammung vier Jahre mit dem Spargelsetzen zu warten. Aber die praktizierte Auslegung sei nun einmal so möglich. Außerdem seien die 17.000 umweltrelevanten Schadstoffverbindungen sowieso überall in der Umwelt, die Kontrollen seien gut. Grundsätzlich sei er dafür, den Klärschlamm wieder in den Produktionskreislauf von Nahrungsmitteln einzubauen.

Nun wird mir auch klar, warum der Schwermetallgehalt des beschlammten Bodens nur alle 10 Jahre untersucht wird. Nach dieser Logik sind die Stoffe ja sowieso überall, besonders gern reichern sie sich im Fettgewerbe des menschlichen Körpers an.

Auch Herrn Hoffschlaeger und Herrn Kasper haben wir nach Verstößen befragt, Herr Hoffschlaeger weicht aus. Ihm seien keine bekannt. Als ich konkreter werde, sagt er, dass der Landkreis zuständig sei und er sich zu einem laufenden Verfahren nicht äußere. Beim Verlassen des Raums bekommt er einen Anruf. Interessiert frage ich nach. Dokumente von Klärschlammuntersuchungen seien offenbar gefälscht worden, dem müsse er nachgehen. Wie war das noch gleich mit den Verstößen und möglichem Mißbrauch?

Beim Verlassen der befragten Stellen hatten wir immer noch folgende Fragen und überhaupt keinen Appetit mehr auf hiesigen Spargel, sondern einfach folgende Gedanken: Warum kriegen die Bauern eigentlich so viel Geld, wenn sie Klärschlamm auf ihren Acker fahren? Wenn er so ein toller Dünger ist, dann könnte man ihn doch verkaufen. Warum sind die Landkreisvertreter so zugeknöpft? Jedes Gesetz, jede Vorschrift bietet die Möglichkeit, dagegen zu verstoßen und wir haben doch immer wieder beteuert, dass es uns um optimale Verbraucheraufklärung geht und nicht darum, einzelnen Bauern in einem reißerischen Artikel Fehlverhalten nachzuweisen. Wieso muss jemand, der bei der Vergabe des Ausbringens von Klärschlamm auf die Felder mithalten will, Flächen nachweisen? Warum ist es kein unabhängiger Spediteur, der doch gar nicht so leicht in die Versuchung käme, mal auf einen nicht erlaubten Acker zu fahren?

Und was ist mit dem Spritzen gegen Unkraut? Es ist beobachtet worden, dass während des Stechens gegen Unkraut gespritzt wurde. Das ist doch verboten!

Dafür ist Herr Dr. Böttger vom Pflanzenschutzamt der Landwirtschaftskammer Hannover zuständig. Im Telefongespräch sagt er, es sei erlaubt ein Unkrautvernichtungsmittel wie Round-up auch während des Stechens zu spritzen. Es sei zwar schleimhautreizend und rufe Hautreizungen hervor, aber dadurch, dass es sich sofort beim Aufbringen an die Erdpartikel binde, seien Menschen, die kurze Zeit danach wieder auf den Äckern arbeiteten, nicht gefährdet. O-Ton Böttger: „Die Leute müssen sich dann eben die Hände waschen, wenn sie mit der behandelten Erde in Berührung kommen“. Auch er verweist mich, sollte es wirklich einmal Verstöße geben, diesmal nach Hannover, an Herrn Rippke.

Auf der Suche nach möglichem Missbrauch haben all die erhaltenen Antworten eher den Eindruck erweckt, Gesetzeslücken im konventionellen Spargelanbau werden ausgenutzt und Zuständigkeiten hin- und her geschoben.

Die Werbung für den Nienburger Spargel ist irreführend

Das alles hat mich dazu bewogen, hier eine Empfehlung auszusprechen:: Nämlich Spargel bei den beiden einzigen verbliebenen Anbauern und Anbietern biologisch angebauten Spargels dieser Gegend zu beziehen (siehe Anzeigen) - oder bei Wiederverkäufern von biologisch angebauten Lebensmitteln. Und da wo man sonst Spargel bezieht, ruhig mal etwas genauer über die Anbaupraktiken nachzufragen. (Zum Beispiel gibt es Bauern, die Unkraut hacken und mit Festmist düngen, sich aber keinem ökologischen Anbauverband angeschlossen haben.)

Auch bei den von uns befragten Herren kann man ruhig noch mal nachfragen.

Zum Schluss noch eine Passage aus dem Schreiben der Staatsanwaltschaft Verden: „So weit Verstöße gegen die Klärschlammverordnung vorliegen, fehlen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten. Insoweit dürften Ordnungswidrigkeitentatbestände verwirklicht worden sein, die nach Auskunft des Landkreises Nienburg von diesem verfolgt werden.“

Herr Dieckmann vom Landkreis Nienburg am 04.05.99 dazu: „ ... aufgrund Ihrer Anzeigen teile ich Ihnen mit, dass vorwerfbare Verstöße gegen die Vorschriften der Klärschlammverordnung nicht vorliegen, weil Herr ... entsprechend der Klärschlammverordnung oder aber entsprechend der Beratung der Fachdienststellen gehandelt hat.“

Na, dann ist doch alles klar, oder etwa nicht?

Oder um es mit Herrn Reimer vom Wasserverband an der Führse und zuständig für die Logistik bei der Ausbringung des Klärschlamms zu halten: „Alle Vorwürfe gegen Herrn ... sind niedergeschlagen worden. Die, die ihn beschuldigen, das sind doch die eigentlichen Querulanten!“

Bleibt nur noch zu fragen, warum der beschuldigte Spargelanbauer die Gütegemeinschaft verlassen hat. Manchmal ist es ja vielleicht geschickter, jemandem zuvorzukommen und erst gar keinen Staub aufzuwirbeln. Oder?

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